杨占青
杨占青

中国资深公益人士,福特汉姆大学访问学者

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Wuhans Wunden

Wuhans Wunden(德国法兰克福报:武汉之殇)

In der Stadt, in der die Corona-Pandemie ihren Ausgang nahm, haben viele Chinesen einen schlimmen Verdacht: Mussten ihre Angehörigen sterben, damit Jüngere gerettet werden konnten? In den Statistiken tauchen sie nicht auf.

Ich könn­te kot­zen, wenn ich das Wort Hel­den höre“, sagt Zhong Ming und wischt sich die Trä­nen aus dem Ge­sicht. Der Ta­xi­fah­rer hat sei­nen Wagen auf einem Park­platz ab­ge­stellt, die In­nen­ka­me­ra ist aus­ge­schal­tet. Hel­den? Chi­nas Pro­pa­gan­da hat Wuhan zur Hel­den­stadt er­klärt. Das Wort Hel­den ist in der Stadt jetzt all­ge­gen­wär­tig. In Zhongs Ohren klingt es wie Hohn, wie Lei­chen­fled­de­rei. „Wir sind keine Hel­den, wir sind Opfer“, sagt er. Die Stadt­obe­ren sind in sei­nen Augen „Mör­der“. Zhong wirft ihnen vor, seine Mut­ter um­ge­bracht zu haben. Sie war erst 64 und bei bes­ter Ge­sund­heit, bevor die Seu­che sie da­hin­ge­rafft hat. Das war am 8. Fe­bru­ar um kurz nach 22 Uhr. Dabei war die Fa­mi­lie noch eine Stun­de vor­her vol­ler Hoff­nung ge­we­sen. Die Mut­ter hatte end­lich ein Bett im Xiehe-Kran­ken­haus er­gat­tert, nach­dem sie elf Tage lang tag­täg­lich zehn Stun­den in War­te­schlan­gen und War­te­sä­len von sechs Kran­ken­häu­sern aus­ge­harrt hatte. 

Die Er­leich­te­rung war so groß, dass Zhong Ming sogar ein Video ge­macht hat. Davon, wie seine Mut­ter, eine zier­li­che Per­son, in dem Bett liegt und in die Ka­me­ra schaut. Neben ihr steht ein Sauer­stoff­ge­rät, das ein Freund ge­spen­det hat. Doch dann zeigt das Video, wie plötz­lich die rote Alarm­lam­pe des Herz­fre­quenz­mes­sers zu blin­ken be­ginnt. Zhong Ming wird aus der In­ten­siv­sta­ti­on ge­scho­ben. Das nächs­te Video auf sei­nem Smart­pho­ne zeigt den Lei­chen­wa­gen, der seine Mut­ter ab­ge­holt hat. „Der Arzt hat mir nicht mal er­laubt, sie noch ein­mal zu sehen“, sagt Zhong, der ei­gent­lich an­ders heißt. Der Arzt habe ge­sagt, er solle nicht wei­nen, weil das Virus über die Augen ein­drin­gen könne, wenn er sich die Trä­nen ab­wischt. Er tat es trotz­dem. 

Die Wut und die Ver­zweif­lung dar­über, was mit sei­ner Mut­ter ge­sche­hen ist, haben den Mann zu einem un­ge­wöhn­li­chen Schritt be­wo­gen: Er hat eine Ent­schä­di­gungs­kla­ge gegen die Re­gie­rung ein­ge­reicht, ge­nau­er ge­sagt gegen den Gou­ver­neur der Pro­vinz Hubei und den Lei­ter der Markt­auf­sichts­be­hör­de von Wuhan. Die Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on Fu­n­eng hat Zhong beim Ver­fas­sen der Kla­ge­schrift un­ter­stützt. Darin wird den Ver­ant­wort­li­chen vor­ge­wor­fen, „be­wusst die Wahr­heit über die Epi­de­mie ver­tuscht“ zu haben und auf die Dia­gno­se und Be­hand­lung von Pa­ti­en­ten in Kran­ken­häu­sern po­li­tisch Ein­fluss ge­nom­men zu haben. Fünf wei­te­re Per­so­nen haben sich bei Fu­n­eng ge­mel­det und ähn­li­che Kla­gen ein­ge­reicht, dar­un­ter der Sohn eines frü­he­ren rang­ho­hen Mi­li­tärs. Ver­mut­lich wird ihre Zahl nicht viel wei­ter stei­gen, denn die Er­folgs­aus­sich­ten vor Ge­richt sind gleich null, und die Ge­fahr, wegen fa­den­schei­ni­ger Be­grün­dun­gen hin­ter Git­ter ge­bracht oder ein­fach ohne An­kla­ge ver­schleppt zu wer­den, ist groß. Zhong Ming macht sich keine Il­lu­sio­nen, dass er die­sen Kampf ge­win­nen kann. „Ich will nur eine Ant­wort von den Leu­ten, die meine Mut­ter ge­tö­tet haben. Ich will nur, dass mehr Leute ihr wah­res Ge­sicht sehen.“ Mit „ihr“ meint Zhong die Stadt­re­gie­rung, die die Ge­fähr­lich­keit des Virus zwei­ein­halb Wo­chen lang ge­zielt ver­tuscht hat. Zwei­mal hat die Po­li­zei Zhong schon ein­be­stellt und ihm vor­ge­wor­fen, mit „feind­li­chen“ Me­di­en zu ko­ope­rie­ren. Aber seine Wut ist grö­ßer als die Angst. „Sie er­lau­ben uns nicht, zu spre­chen, als sei die­ses Land ihr Pri­vat­be­sitz.“

Stim­men wie die von Zhong Ming sind in Wuhan kaum noch zu hören. Wie groß die Wut auf die Re­gie­rung wirk­lich ist, lässt sich schwer sagen. Zum einen sorgt das re­pres­si­ve Klima dafür, dass die meis­ten sich nicht trau­en, ihre Mei­nung zu sagen. Der Druck kommt dabei nicht nur vom Si­cher­heits­ap­pa­rat, son­dern auch aus der Be­völ­ke­rung, von Leu­ten, die jeden als Nest­be­schmut­zer be­schimp­fen, der es wagt, ge­gen­über west­li­chen Me­di­en Kri­tik am Vor­ge­hen der ei­ge­nen Re­gie­rung zu üben. Seit Do­nald Trump ver­sucht, China die Schuld an der Pan­de­mie in die Schu­he zu schie­ben, und nun auch noch von Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen die Rede ist, ist der Raum für kri­ti­sche De­bat­ten in Wuhan noch enger ge­wor­den. Chi­nas Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei war schon immer gut darin, das Volk gegen einen ima­gi­nä­ren Feind hin­ter sich zu scha­ren. Mit enor­mem Auf­wand haben die Staats­me­di­en ab dem 10. Fe­bru­ar, als die Par­tei­füh­rer von Wuhan und der Pro­vinz Hubei aus­ge­tauscht wur­den, das Nar­ra­tiv vom sieg­rei­chen Kampf gegen das Virus ver­brei­tet. 

Wie jede gute Pro­pa­gan­da ist auch diese nicht zu weit von der Wahr­heit ent­fernt. Es gibt näm­lich noch einen an­de­ren Grund, warum kri­ti­sche Stim­men in Wuhan kaum noch zu hören sind: Nach der ers­ten Phase der Ver­tu­schung hat die chi­ne­si­sche Re­gie­rung er­heb­li­che Res­sour­cen mo­bi­li­siert, um die völ­lig über­for­der­ten Wu­ha­ner Kran­ken­häu­ser zu ent­las­ten. Tau­sen­de Ärzte und Pfle­ger wur­den aus dem gan­zen Land samt me­di­zi­ni­schem Gerät nach Wuhan ge­schickt. Pro­vi­so­ri­sche Kran­ken­häu­ser wur­den ge­baut, Dut­zen­de Ho­tels und an­de­re Ge­bäu­de unter staat­li­che Kon­trol­le ge­stellt, um Bet­ten für Pa­ti­en­ten ver­schie­de­ner Schwe­re­gra­de be­reit­zu­stel­len. Un­zäh­li­ge Frei­wil­li­ge wur­den re­kru­tiert, um die Mil­lio­nen Ein­woh­ner in­mit­ten der Aus­gangs­sper­re mit Le­bens­mit­teln zu ver­sor­gen. All das führ­te dazu, dass das Virus in Wuhan in­zwi­schen weit­ge­hend unter Kon­trol­le scheint. Viele Wu­ha­ner er­ken­nen diese Kraft­an­stren­gung an, zumal sie ge­se­hen haben, wie auch in an­de­ren Län­dern das Ge­sund­heits­sys­tem in die Knie ging. Selbst Zhong Ming sagt, dass es nach dem 10. Fe­bru­ar viel leich­ter war, ein Bett zu be­kom­men. Sei­nem Onkel habe das das Leben ge­ret­tet. „Die neuen Füh­rer waren fä­hi­ger.“ 

Doch was vor dem 10. Fe­bru­ar ge­schah, hat in Wuhan eine Wunde ge­schla­gen, die wohl lange nicht ver­hei­len wird. Man sieht das an der ob­ses­si­ven Art, mit der man­che jeden Ge­gen­stand, den sie be­rüh­ren, mit Des­in­fek­ti­ons­mit­tel be­sprü­hen, als gelte es, ihm den Teu­fel aus­zu­trei­ben. So viele tra­gen düs­te­re Er­in­ne­run­gen mit sich herum. Der junge Mann etwa, der sei­nem Vater und sei­ner Gro­ßmut­ter zwei Wo­chen lang vor­gau­keln muss­te, dass der Opa noch lebt, um ihre Ge­sun­dung nicht zu ge­fähr­den. Wu­hans Kran­ken­häu­ser sind nun so leer wie noch nie, weil die Leute Angst haben, den Geis­tern der Ver­gan­gen­heit zu be­geg­nen. 

In den elf Tagen, die Zhong Ming mit sei­ner Mut­ter in den War­te­sä­len saß oder sie auf sei­nem Rü­cken zur Com­pu­ter­to­mo­gra­phie trug, hat er Lei­chen und Ster­ben­de im Au­gen­blick des Todes ge­se­hen. Am meis­ten habe ihn er­schreckt, „dass die Leute gar nicht mehr re­agiert haben, wenn neben ihnen einer ge­stor­ben ist“. Zhong hat ein Video von einer Lei­che in einem gel­ben Sack ge­macht, die auf eine Liege ge­legt wurde, um­ge­ben von Bet­ten mit le­ben­den Pa­ti­en­ten. „Der Arzt hat zu mei­ner Mut­ter ge­sagt, sie könne sich dort hin­le­gen, so­bald das Lei­chen­haus den Leich­nam ab­ge­holt hat. Sie hatte sol­che Angst.“ 

Zhong hat einen furcht­ba­ren Ver­dacht: „In den War­te­sä­len saßen nur alte Leute. Es kam mir vor, als wenn die Re­gie­rung die Leute über 60 auf­ge­ge­ben hat.“ Eines Nachts sah er eine Grup­pe jun­ger Leute, die in die In­ten­siv­sta­ti­on auf­ge­nom­men wur­den. Auch davon hat er ein Video ge­macht. Ein Be­weis ist das na­tür­lich nicht. Aber Zhong plagt das Ge­fühl, dass die Ärzte, die die schreck­li­che Ent­schei­dung tref­fen muss­ten, wel­che der Kran­ken sie ret­ten soll­ten, sich gegen seine Mut­ter ent­schie­den haben. 

Die For­mu­lie­rung ihres Co­ro­na-Test­be­scheids do­ku­men­tiert die Ver­un­si­che­rung jener Tage. „Ne­ga­tiv“, steht dort ge­schrie­ben, aber auch: „Es kann nicht ge­sagt wer­den, dass das Er­geb­nis nicht ne­ga­tiv ist. Im Falle eines Ver­dachts soll­te ein wei­te­rer Test ge­macht wer­den.“ Wo­mög­lich war ein fal­scher Test ihr To­des­ur­teil – denn nur, wer po­si­tiv ge­tes­tet wurde, bekam da­mals ein Bett. Auf ihrem To­ten­schein steht nicht Covid-19, son­dern „In­fek­ti­on der Lun­gen“. Des­halb wurde Zhongs Mut­ter, wie so viele an­de­re, nicht in die Sta­tis­tik der Co­ro­na-Toten auf­ge­nom­men. Auch nicht, als die Be­hör­den ver­gan­ge­ne Woche die Zahl der To­des­op­fer in Wuhan um 50 Pro­zent auf 3869 nach oben kor­ri­gier­ten. 

Als Zhong am 28. März nach der Auf­he­bung der Aus­gangs­sper­re die Asche sei­ner Mut­ter ab­hol­te, bil­de­te sich vor dem Kre­ma­to­ri­um schon mor­gens um sie­ben eine lange Au­to­schlan­ge. Davon hat er Vi­de­os ge­macht, auch von den Po­li­zis­ten, die sag­ten, es sei ver­bo­ten, Vi­de­os zu ma­chen. Be­er­digt hat Zhong seine Mut­ter noch nicht. Er könne sich die Kos­ten für das Grab nicht leis­ten, sagt er. In der Ent­schä­di­gungs­kla­ge sind sie mit um­ge­rech­net 6500 Euro ver­an­schlagt. Auch wenn es wohl nicht zu einer Ge­richts­ver­hand­lung kom­men wird, ist eine Ent­schä­di­gung nach Ein­schät­zung der Or­ga­ni­sa­ti­on Fu­n­eng nicht völ­lig aus­ge­schlos­sen. Manch­mal ver­sucht der chi­ne­si­sche Staat auf sol­che Weise, jene ru­hig­zu­stel­len, die zu viel öf­fent­li­che Auf­merk­sam­keit auf sich zie­hen.

Der Wu­ha­ner Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler Lu Xiaoyu hatte fest damit ge­rech­net, dass nach der Auf­he­bung der Aus­gangs­sper­ren eine De­bat­te be­gin­nen würde über Schuld und Re­chen­schaft, so wie Mil­lio­nen sie am 7. Fe­bru­ar nach dem Tod des Wu­ha­ner Arz­tes Li Wen­liang ge­for­dert hat­ten. Doch die De­bat­te blieb aus. „Die lo­ka­le Krise hatte sich in eine glo­ba­le Krise ver­wan­delt“, sagt der Po­li­to­lo­ge. Die bei­ßen­de ame­ri­ka­ni­sche Kri­tik an China habe die Ju­gend ge­spal­ten in ein na­tio­na­lis­ti­sches und ein welt­of­fe­ne­res Lager. In­ter­na­tio­na­le For­de­run­gen nach Ent­schä­di­gung von einer Be­völ­ke­rung, die selbst so sehr unter dem Virus ge­lit­ten hatte, weck­ten bei jenen, die Re­chen­schaft von der ei­ge­nen Re­gie­rung for­dern woll­ten, die Be­fürch­tung, vom Aus­land po­li­tisch ver­ein­nahmt zu wer­den. 

Wu­hans be­kann­tes­te Schrift­stel­le­rin Fang Fang hat das schmerz­haft zu spü­ren be­kom­men. Seit sie sich ent­schlos­sen hat, ihr On­line-Ta­ge­buch, in dem von die­ser Re­chen­schafts­pflicht die Rede ist, auf Eng­lisch und Deutsch als Buch zu ver­öf­fent­li­chen, wird sie im In­ter­net hun­dert­tau­send­fach als Hand­lan­ge­rin feind­li­cher Mäch­te dif­fa­miert. Ta­ge­lang ent­fern­te nie­mand den Mord­auf­ruf, der an einer Wu­ha­ner Bus­hal­te­stel­le kleb­te, ob­wohl Pos­ter die­ser Art in China sonst so­fort ver­nich­tet wer­den. Auch im stark zen­sier­ten chi­ne­si­schen In­ter­net kur­siert bis heute ein Mord­auf­ruf eines Kung-Fu-Meis­ters. Ein In­ter­view mit Fang Fang, in dem sie auf die Kri­tik ein­geht, wurde da­ge­gen schnell von den Zen­so­ren ge­löscht. 

In Wuhan fin­det man nie­man­den, der nicht we­nigs­tens ei­ni­ge ihrer Ta­ge­buch­ein­trä­ge ge­le­sen hat. In den Tagen der Aus­gangs­sper­re sprach sie den Leu­ten aus der Seele. Doch in­zwi­schen hat kaum noch je­mand den Mut, sie gegen die Schmie­ren­kam­pa­gne in Schutz zu neh­men. Immer wie­der kommt die Frage: „Kann sie Wuhan re­prä­sen­tie­ren?“ Als habe sie das je für sich in An­spruch ge­nom­men. Der Ge­dan­ke, dass nicht das Buch, son­dern die ob­ses­si­ve Kri­tik daran dem Ruf Chi­nas in der Welt scha­det, kommt den we­nigs­ten. 

Stadt­ge­spräch in Wuhan ist in die­ser Woche das große Wohn­zim­mer-Be­ne­fiz­kon­zert mit Stars wie Lady Gaga, Elton John und Lang Lang. Auch in den Chat­grup­pen der Ärzte ist es Thema. Denn zu der Musik wur­den Bil­der und Vi­de­os von Ärz­ten und Pfle­gern welt­weit ein­ge­blen­det – aus China gab es nur das Bild von Li Wen­liang, dem Arzt, der früh vor dem Virus warn­te und dafür von der Po­li­zei be­droht wurde. Viele in Wuhan, selbst äu­ßerst kri­ti­sche chi­ne­si­sche Jour­na­lis­ten, fin­den, der chi­ne­si­sche Bei­trag werde nicht ge­wür­digt. In vie­len Kran­ken­häu­sern mel­de­ten sich alle Ärzte aller Ab­tei­lun­gen „frei­wil­lig an die Front“, wie sie in Wuhan sagen. In der Kriegs- und Hel­den­rhe­to­rik schei­nen Pro­pa­gan­da und ei­ge­nes Er­le­ben un­trenn­bar mit­ein­an­der ver­wo­ben. 

Wie ein Krieg hat auch diese Krise see­li­sche Schä­den hin­ter­las­sen. Des­halb gibt es nun zahl­rei­che Pro­gram­me zur Be­hand­lung post­trau­ma­ti­scher Be­las­tungs­stö­run­gen. Die Re­gie­rung hat zu­ge­sagt, sie fi­nan­zi­ell zu un­ter­stüt­zen, schon um die „so­zia­le Sta­bi­li­tät“ zu wah­ren. Frei­wil­li­ge sol­len in allen Stadt­tei­len Nach­barn iden­ti­fi­zie­ren, die unter sol­chen Stö­run­gen lei­den. Die Psy­cho­the­ra­peu­tin Lu Lin sagt, bei ihr hät­ten sich bis­her vor allem Ober­schwes­tern ge­mel­det, die die Hilf­lo­sig­keit nicht ver­win­den kön­nen, mit der sie dem Ster­ben zu­schau­en muss­ten. Und Ge­schäfts­leu­te, die wegen der Aus­gangs­sper­re plei­te­ge­gan­gen sind. Als Ort für das Ge­spräch hat die Psy­cho­the­ra­peu­tin das Ufer des schö­nen Ost­sees vor­ge­schla­gen; dort, wo Wuhan sei­nem Spitz­na­men „Chi­ca­go des Os­tens“ am nächs­ten kommt. Über­haupt fin­den Ge­sprä­che in Wuhan nun oft im Frei­en statt, denn die meis­ten Re­stau­rants und Cafés sind wei­ter­hin ge­schlos­sen. 

Lu Lin war frü­her mal Kin­der­ärz­tin, doch ir­gend­wann um das Jahr 2000 gab es wegen der Ein-Kind-Po­li­tik nicht mehr ge­nü­gend Kin­der zu be­treu­en. Also sat­tel­te sie erst auf Neu­ro­lo­gin um und ließ sich spä­ter in Lon­don zur Psy­cho­the­ra­peu­tin aus­bil­den. Ihre ei­gent­li­chen Pa­ti­en­ten sind Bor­der­li­ner und Leute mit nar­ziss­ti­schen Stö­run­gen und Neu­ro­sen. Man­che von denen hät­ten die Aus­gangs­sper­re als Wohl­tat emp­fun­den, sagt sie. „Sie gehen so­wie­so nicht gern raus und fühl­ten sich nor­ma­ler damit.“ 

Lu Lin selbst hat den 23. Ja­nu­ar, als Wuhan ohne große Vor­war­nung von der Au­ßen­welt ab­ge­schnit­ten wurde, als sur­re­al er­lebt. „Ich kam mir vor wie eine Schau­spie­le­rin in einem die­ser ame­ri­ka­ni­schen Ka­ta­stro­phen­fil­me.“ Am glei­chen Tag rich­te­te sie eine Seel­sor­ge-Hot­line ein. An den Anruf einer Kran­ken­schwes­ter er­in­nert Lu Lin sich be­son­ders gut. „Sie hatte das Ge­fühl, dass die Welt da drau­ßen sie ver­ges­sen habe, weil das Be­er­di­gungs­in­sti­tut nicht kom­men konn­te, um die Lei­chen ab­zu­ho­len.“ Die an­fäng­li­che Panik wich ir­gend­wann an­de­ren Pro­ble­men. Der Sorge um den Ar­beits­platz und Kon­flik­ten mit den ei­ge­nen Kin­dern, die nicht zur Schu­le gehen konn­ten. „Viele El­tern glau­ben, es sei Auf­ga­be der Leh­rer, die Pro­ble­me der Kin­der zu lösen“, sagt Lu Lin. Dass die El­tern das nun selbst tun soll­ten, über­for­der­te viele. 

An Lu Lins Hot­line be­tei­lig­ten sich 600 Frei­wil­li­ge aus dem gan­zen Land und aus der Dia­spo­ra in Ka­na­da, Ame­ri­ka, Aus­tra­li­en und Ita­li­en. „Das hat mich sehr be­rührt“, sagt die Frau, die in­zwi­schen ih­rer­seits Vor­trä­ge für Kol­le­gen in Ame­ri­ka hält, wo die Angst vor Covid-19 um sich greift. Über­haupt be­schreibt die Psy­cho­the­ra­peu­tin die Aus­gangs­sper­re als eine Zeit der So­li­da­ri­tät, in der frei­wil­li­ge Hel­fer die Alten und Kran­ken un­ter­stütz­ten und Spen­den an Schutz­klei­dung für die Kran­ken­häu­ser or­ga­ni­sier­ten. In der Krise er­wach­te in Wuhan eine brei­te Zi­vil­ge­sell­schaft, wie es sie sonst in China sel­ten gibt. „Dafür liebe ich meine Hei­mat­stadt jetzt noch mehr“, sagt Lu Lin und hebt her­vor, dass auch die Par­tei­ka­der ihres Nach­bar­schafts­ko­mi­tees sich un­er­müd­lich für die Be­woh­ner en­ga­giert hät­ten. Be­reit­wil­lig ruft sie die Vor­ste­he­rin ihres Wohn­blocks an, um zu fra­gen, ob diese be­reit wäre, ein In­ter­view zu geben. Aber lei­der, lässt sich die Frau ent­schul­di­gen, sei das im Mo­ment nicht op­por­tun. 

In Wuhan habe sich eine neue Nach­bar­schafts­kul­tur ent­wi­ckelt, die die Krise über­dau­ern werde, sagt die Psy­cho­the­ra­peu­tin. Jeder Wohn­block bil­de­te eine Chat­grup­pe, in der man­che nachts ein­fach schrie­ben: „Ich kann nicht schla­fen. Wer noch?“ An­de­re tausch­ten Vi­de­os über ver­un­glück­te Koch­ex­pe­ri­men­te aus oder boten fri­sche Erd­bee­ren vom Feld ihres On­kels an. Das war da­mals Luxus, denn ab Mitte Fe­bru­ar durf­ten die Be­woh­ner nicht mehr selbst ein­kau­fen, son­dern wur­den von den Nach­bar­schafts­ko­mi­tees, der Ba­sis­struk­tur der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, mit Stan­dard­ra­tio­nen ver­sorgt. Viele Wu­ha­ner haben sich ge­schwo­ren, da­nach nie wie­der Kohl und Möh­ren zu essen. „Es ist ein biss­chen, als hät­ten wir zu­sam­men einen Krieg über­stan­den“, sagt Lu Lin. Als Psy­cho­the­ra­peu­tin weiß sie, dass die­ses Ein­heits­ge­fühl trü­ge­risch sein kann. „Wenn die Ge­fahr weg ist, wer­den die alten Kon­flik­te umso schär­fer zu­rück­keh­ren.“

Oh­ne­hin haben nicht alle Wu­ha­ner das Zu­sam­men­rü­cken ihrer Nach­bar­schaft so po­si­tiv er­lebt. Die So­zi­al­ar­bei­te­rin Guo Jing spricht von „so­zia­ler Kon­trol­le“. Sie sei per We­Chat immer wie­der auf­ge­for­dert wor­den, nicht in den Hof zu gehen, son­dern in ihrer Woh­nung zu blei­ben. Be­drü­ckend fand sie auch, dass die harm­lo­se Nach­fra­ge einer Nach­ba­rin nach der nächs­ten Lie­fe­rung in der We­Chat-Grup­pe als un­zu­läs­si­ge Nör­ge­lei ge­schol­ten wurde. Wer das Nach­bar­schafts­ko­mi­tee kri­ti­sier­te oder ei­ge­ne Wün­sche jen­seits der Stan­dard­ver­sor­gung äu­ßer­te, galt schnell als Stö­ren­fried. 

Bei man­chen hin­ter­ließ die exis­ten­ti­el­le Ab­hän­gig­keit von den lo­ka­len Par­tei­ka­dern ein Ge­fühl der Macht­lo­sig­keit, zumal nicht jeder Nach­bar­schafts­vor­ste­her es ver­stand, mit der neu­ge­won­ne­nen Macht um­zu­ge­hen. In einer Nach­bar­stadt von Wuhan de­mons­trier­ten vor ei­ni­gen Tagen rund hun­dert Be­woh­ner gegen ihr Nach­bar­schafts­ko­mi­tee, dem sie vor­war­fen, Le­bens­mit­tel zu über­teu­er­ten Prei­sen ver­kauft zu haben. Das wäre nicht wei­ter er­wäh­nens­wert, wenn nicht die Wort­füh­re­rin an­schlie­ßend wegen „Ver­samm­lung einer Menge zur Stö­rung der öf­fent­li­chen Ord­nung“ fest­ge­nom­men und an­ge­klagt wor­den wäre. Es ver­wun­dert nicht, dass in einem sol­chen Klima nur we­ni­ge die Stim­me er­he­ben. Viele junge Leute in­ves­tie­ren ihre En­er­gie statt­des­sen nun lie­ber in so­zia­les En­ga­ge­ment. An­de­re sehen sich schon wie­der an die Front zie­hen. Dies­mal im Kampf gegen feind­li­che Mäch­te.

以下为谷歌翻译:

武汉的伤口

在疫情大流行开始的城市,许多中国人严重怀疑:为了拯救年轻人,他们的亲戚死了吗?它们不会出现在统计信息中。

钟明擦着脸上的眼泪说,听到英雄一词,我可能会吐。出租车司机将汽车停在停车场,内部摄像头关闭。英雄?中国的宣传已宣布武汉为英雄城市。英雄一词现在在这座城市无处不在。在钟的耳朵里,听起来像是在嘲讽,像是尸体。他说:“我们不是英雄,我们是受害者。”在他看来,城市领导人是“谋杀者”。钟先生指责他们杀了他的母亲。她只有64岁,身体健康,直到瘟疫把她带走。那是2月8日,晚上10点。这个家庭一个小时前就充满了希望。这位母亲每天在六家医院的队列和候诊室呆了十个小时,长达11天之后,终于在协和医院上了床。

松了一口气,以至于钟明甚至拍了录像。关于他的母亲,一个身材娇小的人,如何躺在床上看着镜头。她的旁边是朋友捐赠的氧气设备。但是随后视频显示了心率监测器的红色警报灯突然开始闪烁。钟明被赶出重症监护室。他智能手机上的下一个视频显示了带走母亲的灵车。 “医生甚至都不允许我再见她,”钟的称呼。医生说他不应该哭,因为如果他擦干眼泪,病毒可以通过他的眼睛进入。无论如何,他做到了。

对母亲的愤怒和绝望促使该男子迈出了不寻常的一步:他对政府提起诉讼,尤其是针对湖北省省长和武汉市市场监督机构负责人。援助组织Funeng支持Zhong编写了申请书。其中,负责人被指控“故意掩盖有关流行病的真相”,并对医院的患者诊断和治疗产生政治影响。另外五人向富能公司报告并提起类似诉讼,包括一名前高级军官的儿子。他们的人数不太可能进一步增加,因为在法庭上获得成功的机会为零,并且由于脆弱的原因而被判入狱或仅仅被指控无罪绑架的风险就很高。钟明没有幻想他能赢得这场战斗。 “我只想从杀死我母亲的人们那里得到答案。我只是想让更多的人看到他们的真实面孔,“钟”是指市政府,它已经故意掩盖了病毒的危险了两个半星期。警方已两次下令钟某,并指控他与“敌对”媒体合作。但是他的愤怒大于恐惧。 “他们不允许我们说话,好像这个国家是他们的私有财产。”

在武汉很难听到像钟明这样的声音。很难说对政府的愤怒到底有多大。一方面,压抑的气氛确保大多数人不敢发表自己的想法。压力不仅来自安全机构,还来自民众,来自侮辱每个人都是巢穴污染者的人,他们敢于批评西方媒体关于其本国政府的行动。自唐纳德·特朗普(Donald Trump)试图将大流行归咎于中国并讨论赔偿金问题以来,在武汉进行批判性辩论的空间已经缩小。中国共产党一直善于召集人民反对一个假想的敌人。从2月10日起,武汉市和湖北省的党魁换届以来,官方媒体付出了巨大的努力,传播了抗击病毒胜利斗争的故事。

像任何良好的宣传一样,这与事实相距不远。批判性刺激还有另一个原因。 v

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